Auf Spotify gibt es eine wunderbare Interviewreihe über Veränderungen im Leben. Sehr speziell ist in diesem Podcast, dass Menschen im Alter zwischen 55 und 65 interviewt werden, gemeinhin als „geburtenstarke Jahrgänge“, „demographisches Problem“ oder kurz: „Boomer“ bekannt. Ich bevorzuge „Menschen meines Alters, die etwas zu erzählen haben“. Denn das haben sie. Durch geschickte und persönliche Fragen sprechen sie über einschneidende Erlebnisse, Erfolge und Niederlagen im Leben und den sich daraus ergebenen Veränderungen. Auffällig ist, dass es fast 90% Frauen sind. Stoff, darüber zu phlilosphieren und die eigene Situation zu reflektieren.

Ein Hoch auf das Klischee, aber wenn ich so genauer darüber nachsinniere, hat es sehr wohl etwas mit unserer jahrhundertealten Sozialisierung und den sich daraus ergebenden Rollenbildern zu tun. Und auch das, was wir so landläufig über Hormone beigebracht bekommen haben, spielt wohl eine nicht zu unterschätzende Rolle. Reflexion ist angesagt, hier meine Beobachtungen und Erfahrungen.

Wir als Teenies nach der Pubertät: ich brauchte ein paar Jahre zur Neuorientierung und Justierung meiner Gefühle und meiner Existenz, die Mädchen wandten sich mehr oder weniger zielorientiert den größeren Jungs zu. Oder der Welt im allgemeinen, sie waren schlicht etwas neugieriger und offener für Veränderungen.

Als Twens nivellierte sich das dann. Ich suchte mir gleichgesinnte Partnerinnen mit ähnlichen Ansichten, Interessen, Hobbies. Gegensätze zogen mich nicht so wirklich an. Eine Affinität zu Motorrädern und Zelten musste schon sein.

In den Dreißigern kamen dann ganz neue Interessen und Herausforderungen auf mich zu. Das schöne und aufregende Kinder machen ging tatsächlich über in das noch schönere und bei weitem noch aufregendere Kinder kriegen und haben. Verlässlichkeit und Sicherheit standen jetzt ganz oben auf der Prioritätenliste. Kinder mögen keine Veränderungen. Wer monatelang Abend für Abend die kleine Raupe Nimmersatt vorgelesen hat, weiss, worüber ich spreche. Frauen haben eher die Neigung dazu, sich daran anzupassen und im Nest zu bleiben, der Mann geht derweil das Feld bestellen, Jagen oder auf Dienstreise. Abwechslung tut gut, Abenteuer auch. Und hier keimt in mir der Verdacht, dass wir unseren Hormonen nachgeben. Östrogen macht eher häuslich, Testosteron aushäusig.

In den Vierzigern fast nichts Neues. Frau im näheren, Mann im weiteren Umfeld. Was wir dabei allerdings feststellten, ist die Tatsache, dass gemeinsame Interessen, Ansichten und Hobbies nicht immer tragen und so kam es auch bei mir fast schon klischeehaft zur Scheidung. Ein dunkles Kapitel in meinem Leben, durch die äusseren Umstände nicht ganz geeignet zur inneren Veränderung, ich war ja noch in der Blüte meines Lebens und die Midlife Crises zeigte sich nicht, alle Haare waren noch dran, nichts tat dauerhaft weh, das Testosteron war noch da. Ich lernte in dieser Zeit die beste Lebenspartnern von allen kennen, was heute noch wunderbar ist. Ich war der große Zampano und füllte meine zivilisatorische Rolle vollkommen aus.

Dann kamen die Fünfziger. Verdammt, warum habe ich bei kitschigen Happy Endings Tränen in den Augen und warum zum Teufel gucke ich mir diesen Film überhaupt an? Und so langsam müssen mein männliches Umfeld und ich zugeben, dass wir nicht mehr so wie vor zehn Jahren arbeiten möchten, mit Wettbewerb, Leistungsdruck und Überstunden. Ja wir sogar zugeben, dass wir etwas nicht schaffen. Das jahrzehntelange „wer hat den Längsten“- Spiel habe ich noch nie überzeugt mitgemacht, jetzt bin ich hier aber eher der Spielverderber. Und wie ich schon schrub: was Gutes essen ist auch mal ganz nett und ausreichend. Ja, mein Freund, das Testosteron verabschiedet sich langsam aber stetig, der große Zampano darf jetzt so langsam mal hinter die Bühne.

Auch die Kinder sind mehr oder weniger flügge geworden, für Veränderung oder Nicht-Veränderung sind sie jetzt selbst verantwortlich, die Eltern schlüpfen hier in die Rolle der Berater und müssen den äusseren Rahmen nicht mehr vorgeben. Wieder eine Rolle verändert.

Jetzt geht es los: die Rollen werden neu ausgehandelt und besetzt. Ich fühlte mich zusehends müde und erschöpfter und von mir aus könnte mal alles so bleiben wie es ist. Und die beste Lebenspartnerin von Allen wurde im Grunde ihres Herzens unternehmungslustiger und bereiter für Veränderungen aller Art. Östrogen geht, Testosteron kommt.

Steile These! Aber der Anteil von Frauen zu Männern zwischen 55 und 65, die über Veränderungen sprechen, lässt sonst nur einen anderen Schluss zu: Männer reden nicht gerne über sich. Wer aber mal in einem Restaurant Augen und Ohren offen hält, sieht doch eine große Zahl von Männern, die ihre Begleiterinnen und Begleiter zutexten. Doch das ist eine andere Geschichte.

Ich jedenfalls brauchte einen oder mehrere Anstösse von aussen, um Veränderungen im Leben anzustossen. Noch ist es nicht der Wind of Change, aber der Hauch ist spürbar.


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